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Plakat der 73. Berlinale

Genre: Coming of Age / Drama | Produktion: Deutschland 2023 | Laufzeit: ca. 119 Minuten

Regie: David Wnendt | Mit: Levy Rico Arcos, Rafael Luis Klein-Heßling, Vincent Wiemer, Aaron Maldonado-Morales, Luvre47 u.a.

Weltpremiere Berlinale 2023 in Sektion Berlinale Special (19.02.)


Inhalt: Berlin, Neukölln: Gropiusstadt ist eine Großwohnsiedlung, die es in sich hat. Lukas, Julius, Gino und Sanchez erleben hier einen zunächst ultraheißen, tristen Sommer, der bald zum Abenteuerurlaub mit reichlich Stress wird. Selbst fürs Schwimmbad fehlt den Boys die Kohle, der Schuldenberg wächst, ein Diebstahl läuft schief – dass einer von ihnen dabei fast draufgeht, merken die anderen erst reichlich spät. Teenager-Alltag in der Vorstadt, ooch ditt is Berlin.

© Constantin Film Verleih

Lukas, Julius und Gino wachsen in Gropiusstadt auf, haben weder Glück in der Liebe noch Geld fürs Schwimmbad. Und dann geraten sie auch noch mit ein paar Jungs im Park aneinander. Nun schulden sie denen Geld. Sanchez, neuer Mitschüler und zugezogen aus Marzahn, hat die Idee die neuen Computer der Schule zu stehlen und zu verticken.

Das bringt ihnen eine Menge Ärger ein. Doch auch so haben es die vier nicht leicht. Während Gino zu Hause einen gewalttätigen Vater hat und Julius mit seinem Bruder zwischen Müll und Drogen haust, lebt Lukas‘ Vater mit einer neuen Frau und einem (anständigen-) Kind zusammen. Doch leider passt Lukas nicht mehr ins heile Weltbild der neuen Familie.

Doch wenn Lukas etwas von seinem älteren Bruder gelernt hat, dann, dass der Klügere nachtritt. Und dementsprechend handelt er auch.

Junges die Spaß haben und lachend in einem Berliner Bus sitzen. Szene aus Sonne und Beton.
© Constantin Film Verleih

Es handelt sich um eine Romanadaption mit rauem Flair

Und auch wenn der Film im Vorfeld einige Skepsis hervorgerufen haben mag, sind diese bereits nach den ersten Minuten verpufft. „Sonne und Beton“ ist nicht nur ein neues Coming-of-Age-Drama aus dem Berliner Ghetto, sondern ein Befreiungsschlag auf der Leinwand des deutschen Kinos. Das erste, was auffällt, ist der Filmschnitt, der schon in den ersten Minuten des Films wie ein Musikvideo wirkt: Flott und dreckig und passend zum Takt der Musik.

Doch auch der Rest des Films ist flott geschnitten und zum Teil mit den entsprechenden Geräuschen untermalt, so etwas sieht man im deutschen Kino nur ganz selten. Aber auch die Musik sticht hervor und passt sich perfekt in die nicht-heile Welt des Berliner Ghettos ein. Das aufwendige Casting-verfahren zeigt hier ihre positive Seite. Die jungen Schauspieler sind on Point und spielen so großartig, ehrlich und befreit, dass selbst vertraute Gesichter in der Besetzung- im Vergleich dazu – blass wirken.

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Die vier Jungs harmonieren bestens als Gruppe miteinander und ergänzen sich in jeder Szene. Allein Newcomer Levy Rico Arcos beherscht nicht nur den jugendhaften Stil, auch sein Slang und der finstere Blick, in dem so viel enthalten ist, dass man das Gefühl hat, seiner Figur in die Seele schauen zu können.

Das ist eine Gabe, die dem Neuling hoffentlich mehr Rollen einbringen wird. Es ist trotz des Themas, Jugendliche im Ghetto, nicht gerade der klassische „Jugend“-Film, so dass einige Kampfszenen doch recht brutal sind und eher an düstere Film- und / oder Fernsehserien, wie z.B. 4 Blocks, erinnern. Doch das passt auch zum ansonsten sehr rauen Flair der Romanadaption.

Vier Jugendliche auf einer Wiesel in Berlin. Szene aus dem Film Sonne und Beton.
© © Constantin Film Verleih

Sonne und Beton ist genau das, was das deutsche Kino gerbraucht hat

Manches ist passiert, anderes nicht, aber Felix Lobrecht, Buchautor und Co-Drehbuchautor, lässt es offen. Man spürt es vielleicht an manchen Stellen, denn es gibt Szenen, die sind etwas überzogen, aber dafür gibt es solche, die zeigen, wie es in Gropiusstadt tatsächlich aussieht.

Aber vielleicht bekommt das Ghetto durch „Sonne und Beton“ auch eine neue Facette. Nicht alles ist so schlecht und die Menschen, die dort aufwachsen, schlagen sich – im wahrsten Sinne des Wortes – durch.

Und wenn dann noch jemand wie Lukas mit dem Gedanken spielt, sein Abitur zu machen, wird das durch die örtliche Schullandschaft noch erschwert. Die Leute hier haben es nicht leicht und sind dabei auch nur Menschen, die ab und zu in den Urlaub fahren wollen, gerne auch mal neue Schuhe oder einen MP3-Player besitzen möchten. Und auch, wenn die vier Jungs manchmal ziemlich knallhart wirken, merkt man ihnen an, dass sie nur irgendwo dazugehören wollen.

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Das alles erzählt der Film auf eine sehr freche, manchmal lustige und auch sehr derbe Art. Die einzige Schwäche ist vielleicht, dass die Jugendsprache der Kids nach einer Weile anstrengend sein kann, und doch gehört sie zum großen Ganzen einfach dazu. Berlin im Jahr 2003 zu sehen ist schlichtweg ein Spaß, angefangen beim Set-Design über die Bekleidung bis zu den alten öffentlichen Verkehrsmitteln. Für alle Berliner Kids der 2000er Jahre gibt es eine Menge Nostalgie.

Fazit: Bleibt nur festzustellen, dass Lobrechts Idee im Zusammenspiel mit dem fantastischen Ensemble und Wnendts engagiertem Einsatz genau das ist, was das deutsche Kino endlich mal wieder gebraucht hat: Einen frischen Wind und den Mut, so richtig auf die Leinwand zu klopfen, ohne sich Gedanken darüber zu machen, ob es jemandem gefallen könnte. Danke dafür!

Film Bewertung: 10 / 10

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