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Filmplakat Lost Highway

Lange bevor uns ein großartiger Christopher Nolan mit seinen Filmen zum Grübeln und Haare-raufen brachte, gab es Werke des ebenso großartigen Meisters des Mindfuck: David Lynch. 

Sei es die TV Serie der 1980er Jahre, Twin Peaks, die einen gebannt an den Bildschirmen hängen ließ, mit ihrer obskuren, düsteren Geschichte, oder sein unsterbliches Meisterwerk „Blue Velvet“, mit einem fantastischen Dennis Hopper.

Das war nur die Vorspeise seines Schaffens, bis zu dem Film, der eine Verwirrung auslöste, wie man sie heute aus Nolans Meisterhand serviert bekommt. Ich spreche von seinem 1997 erschienener Film „Lost Highway“.  Das ist der erste Film, der mich jemals in die geistigen Knie gezwungen hat.  Jetzt ist es an der Zeit, euch den Film auf eine verständliche Art und Weise, näher zu bringen.


Lost Highway Filmszene im Haus von Fred und Renee.
©Senator Filmverleih

23 Jahre und 12 Sichtungen später

Ich hatte seinerzeit einen ganz anderen Film erwartet, der mit seinem Killer-Hard-Rock-Soundtrack mit Nine Inch Nails‘ ausgezeichnetem Song „The Perfect Drug“ und Marilyn Mansons transzendentem Cover von „I Put a Spell on You“, incl. Ramstein Film – Musik, aufwartete.

Jemand glaubte damals genug an diesen Film, um viel Geld in die Mainstream-Promotion zu investieren. 23 Jahre im Schnelldurchlauf, zig Sichtungen seines inzwischen ikonenhaften Films und eine neu entdeckte Bewunderung für die Filme von David Lynch später, war ich begierig darauf, mich selbst zu testen und „Lost Highway“ noch einmal auszuprobieren. 

Diesmal hat er mich nicht besiegt, liebe Kinofreunde. Unabhängig davon, ob ihr Lost Highway noch nicht gesehen habt oder von ihm geistig völlig aufgearbeitet wurdet, lasst es mich aufschlüsseln und euch, nach bestem Wissen und Gewissen, zu einer verständlichen (Nach)-Betrachtung verhelfen.

Diese Analyse soll als Anhaltspunkt dienen, nicht als eine allgemeingültige Erklärung des Films.


Lost Highway Filmszene im Haus von Fred und Renee.
©Senator Filmverleih

Surrealer Mindfuck 

Die Geschichte von Lost Highway mag auf den ersten Blick verwirrend und surreal erscheinen, aber ich versichere euch: Sie macht irgendwie tatsächlich Sinn. Fred Madison (Bill Pullman) und seine Frau Renee (Patricia Arquette) werden von einem Unbekannten erpresst, der ihnen von ihrem Haus aus aufgenommene VHS-Kassetten schickt.

Fred wird, kurz nachdem er ein weiteres mysteriöses Band erhalten hat, auf dem er Renee anscheinend ermordet, verhaftet und zum Tode verurteilt. Die Wachen im Todestrakt finden eines Morgens, einen jungen Mechaniker namens Peter Dayton (Balthazar Getty), der scheinbar plötzlich in Freds Zelle sitzt.

Niemand versteht, was passiert ist, aber da Peter kein Verbrechen begangen hat, wird er in die Obhut seiner Eltern entlassen. Er wird bald von einer jungen Frau namens Alice (ebenfalls gespielt von Patricia Arquette) besucht, die, wie ihr wisst ( falls den Film bereits gesehen) oder jetzt erraten habt – genau wie Renee aussieht. 


Alicia ( Particia Arquette ) und der Mechaniker Pete ( Balthazar Getty ) mögen sich .
©Senator Filmverleih

Was geht hier also vor? 

Es ist etwas einfacher, als es aussieht. Teil des Vergnügens, David Lynch zuzusehen, ist der Versuch, herauszufinden, was zum Teufel da gerade auf einen einprasselt. Der Schlüsselmoment in „Lost Highway“ findet ganz am Anfang statt, als Fred und Renee nämlich die Polizei in ihrem Haus haben.

Auf die Frage, warum er keine Videokameras mag, sagt er: „Ich erinnere mich gerne auf meine eigene Weise an Dinge. Nicht unbedingt auf die Art und Weise, wie sie geschehen sind“. Bill Pullmans Darbietung dieser Zeile ist großartig. Es ist, als ob alle anderen im Raum für einen Moment verschwunden wären und er mit sich selbst gesprochen hätte.

Der erste Teil von „Lost Highway“ ist im Grunde genommen Freds selektive Erinnerung an die Ereignisse, die ihn veranlassten, seine fremdgehende Frau zu töten. Wenn man genau hinsieht, gibt es subtile Hinweise, die auf die fragwürdigste Art und Weise auf das hinweisen, was Lynch uns zeigt. Es ist Pseudo – Intellektuell und ebenso großartig. Es ist faszinierend.


Dick Laurent ( Robert Loggia ) und Renee ( Particia Arquette ) in David Lynchs Film Lost Highway
©Senator Filmverleih

Welche Bedeutung haben die VHS Bänder?

Zum Beispiel trägt Renee immer Make-up und genau die gleichen hohen Absätze. Irgendwann wäscht sie sich das Gesicht und trägt immer noch Make-up, weil Fred sich genau so an sie erinnern möchte.

An dieser Stelle beginnt der Film wirklich seltsam zu werden. Denn hier ist, was man wissen muss, um besser folgen zu können: Fred hat Renee wirklich umgebracht. Die VHS-Kassetten, die er in seinem Haus erhält, sind ungefilterte Erinnerungen an das immer wieder auftauchende Ereignis. Sie sind verschwommen und fragmentiert wie echte Erinnerungen, aber die unausweichliche Wahrheit ist dort „aufgezeichnet“. 

Peter ist Freds eskapistische Fantasie, die er sich von seiner Zelle aus vorstellt, und hier wird aus „Lost Highway“ dieser so brillanter Film über unterbewusstes Verlangen, zu der Fantasie, ein anderes ICH würde zu anderen Ereignissen führen – was sich als Täuschung herausstellt, denn seiner Wahrheit kann man nicht entkommen – so lässt Lynch seinem Protagnisten dann auch keinen Ausweg. Dafür bringt er den „Mystery Man“ ins Spiel.


Der Mystery Man . eine Teuflische mephistolische Figur
©Senator Filmverleih

Was ist mit dem Mystery Man? 

Wie erwähnt, ist Peters Leben ein Spiegelbild von Freds, außer, dass keines der Ereignisse seine oder Alices Schuld ist. Sie wurde vom überzeichneten Bösewicht Dick Laurent (dem verstorbenen, großartigen Robert Loggia) in einen Sex Ring versklavt und schaute zu Peter auf, um sie zu retten, und er war ihr natürlich, wie ein Ritter, edelmütig verpflichtet, sie aus dem Kreislauf ihrer pornografisch – sadistischen Erniedrigungen zu Befreien.

Jeder Ursprung von Freds Schuld ist in Peters‘ Erzählung auf eine externen Quelle umgepolt, weshalb sie so überzeugend ist und sich gleichzeitig so surreal anfühlt. So funktionieren Fantasien, und wir sind es nicht gewohnt, sie auf diese Weise zu betrachten. Aus der Sicht eines Außenstehenden. Es fühlt sich voyeuristisch an. Und wir schauen gerne zu, ohne rot zu werden, unerkannt – in der Anonymität eines dunklen Kinosaals.

Dieses diabolische in Fred, holt Lynch in Form des „Mystery Man“ zum Vorschein, welcher mephistophelische Züge aufweist. Robert Blake liefert die bei weitem eindringlichste Performance in „Lost Highway“, aber auch die verworrenste. Es gibt mehrere Interpretationen darüber, wer der „Mystery Man“ genau ist: Einige nannten ihn das personifizierte Böse, andere nannten ihn die unausweichliche Wahrheit


Alicia ( Particia Arquette ) beobachtet aus einem Auto heraus.
©Senator Filmverleih

Warum ist er in beiden Handlungssträngen präsent?

Ich habe eine einfachere Erklärung für euch: Er ist der TeufelDer Mephisto der Moderne. Aus diesem Grund konfrontiert er Fred auf Andys Party und behauptet, er sei in seinem Haus. Deshalb taucht er immer wieder auf und verschwindet nach Belieben wieder.

Das ist auch der Grund, warum er in Freds Handlung neben Dick Laurent, am Telefon (eine weitere Konstruktion), auftaucht und über AUSFÜHRUNG spricht. Fred „lud“ ihn ein, als die Ehe mit seiner Frau anfing den Bach runter zu gehen und kontrolliert nun seine Realität.

Fred´s Wunsch ein anderes Leben, ein anders, jüngeres und potenteres ICH, würde seine Frau vom Fremdgehen abhalten und ihn davor bewahren, diese Tat zu begehen – ist eine diabolisch angetriebene Realität.


Alicia ( Particia Arquette ) wird eine Pistole an den Kopf gehalten um sie zu sexuellen Gefeälligkeiten zu zwingen. Szene Aus dem Film Lost Highway.
©Senator Filmverleih

Ist er der Wahnsinn, der aus Fred entspringt und handelt?  

Ja, das kann man so stehen lassen. Einige Leute argumentierten auch, dass er selbst Freds „Pete-Fantasie“ im zweiten Teil des Films kontrolliert und beschließt, irgendwann alles niederzubrennen ( siehe Haus das brennt ), was ich als These größtenteils befürworten würde. Deshalb ist er so erschreckend. Er weiß alles und amüsiert sich, wie nur der Teufel es tun würde! Die unausweichliche Wahrheit ist am Ende des Films sichtbar.

Dort schließt sich der Kreis, beider Realitäten in Freds Kopf und fügen sich zu dem Kreislauf zusammen, der ihn nur auf einen Weg führt: Auf den elektrischen Stuhl – seinen Lost Highway. Sein Schicksal ist unausweichlich. Geht man davon aus, dass Fred im Gefängnis hingerichtet wurde, so erschiene der Rest des Films plötzlich als eine Art Leben nach dem Tode – auch diese Interpretation ist nicht auszuschließen und bedingt zusammen mit anderen möglichen Interpretationen, die kaum zu schließende Offenheit des Films, auf der gerade sein Reiz beruht.

Ein weiterer, oft herangezogener Ansatz ist der einer möglichen Möbiusschleife: Für Fred Nr. 1 beginnt die Geschichte von vorn, für Fred Nr. 2 geht sie weiter auf der Flucht vor Polizeiwagen, aber anstatt in den Tag rast er ziellos seinen „Lost Highway“ hinab in eine ewig anmutende Nacht, mit dem Schrei eines Wahnsinnigen. Der Teufelskreis hat sich geschlossen, der Weg heraus ist der in die ewige Verdammnis, die Hölle.



Zeitloser Film mit brillanter Erzählung

Lost Highway ist mein Lieblings Film von David Lynch und er steht dem unsterblichen „Blue Velvet“ in nichts nach. Vielleicht war er ein wenig zu ambitioniert für diese Ära und die dahinter stehende Mainstream-Promotion, aber er ist in jeder Hinsicht eine einzigartige und erfolgreiche Neu-erfindung des ikonischen Hollywood Film Noir.

Ich finde, er ähnelt thematisch „Mulholland Drive„, ist aber dem, was er sagen wollte, noch mehr verpflichtet. Wir haben das Glück, einen Ausnahme Regisseur wie David Lynch im zeitgenössischen Kino zu haben, einen grenzenlosen und kreativen Regisseur, der die Aufmerksamkeit der großen Studios und populären Schauspieler auf sich zieht. Er ist eine cineastische Anomalie, die wir schätzen, verteidigen und der wir vieles verzeihen und noch mehr seines Schaffens genießen sollten, solange wir ihn haben, denn er wird nicht jünger, und es gibt kaum jemanden, der solche psychoanalytisch anspruchsvollen Filme macht. 

Für welche Interpretation, der oben genannten ihr für euch herausnehmen möchtet – oder sogar eine weitere hinzufügt, es ist die Bildgewalt, die einen berauscht. Lost Highway ist nicht perfekt, aber es ist reizvoll ihn aufs Neue zu entdecken. David Lynch taucht, wie kein Zweiter, hinab in die tiefsten Abgründe der menschlichen Seele und des Unterbewusstseins, um es dann magisch visuell auf Celluloid zu Bannen.



https://kinomeister.de/old-shyamalan-bestaetigt-neuen-film/

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