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Mike Flanagan in einem Portrait zu seinen bisherigen Horrorfilme und Serien wie .z.b Doctor Sleep und Absentia

Im letzten Jahrzehnt sind einige brillante neue Horrorfilmemacher aufgetaucht – man denke nur an die Magen verdrehenden Albtraumvisionen von Ari Aster ( Herditery ), den scharfen sozialkritischen Beiträgen von Jordan Peele ( Get Out ) oder die unheimlichen Erzählungen von Robert Eggers ( Der Leuchtturm ) .

Der neue Meister des Horrors

Aber nur wenige neue Filmemacher waren in den 2010er Jahren so produktiv und konsequent dabei, furchterregende (und überraschend traurige) Perlen zu erschaffen wie Mike Flanagan. Im Laufe des letzten Jahrzehnts hat er sieben Spielfilme und zwei große Serien produziert, die mit haarsträubenden Ängsten, spannungsgeladenen Situationen und – vor allem – melancholischen Überlegungen zu Verlust, Familien, Trauer und dem Charakter von Geistergeschichten begeistern.

Er hat noch keinen Flop produziert, und zwischen seiner Serie Haunting Of Hill House und Netflix-Filmen wie Hush und Gerald’s Game, die man gesehen haben sollte, hat er einigen zukünftigen Klassikern seinen Namen eingebrannt. Kurz gesagt, er ist der neue Meister des Horrors.


Mike Flanagan - Der neue Meister des Horros
Mike Flanagan – Der neue Meister des Horros ©Empire Online

Während Flanagan seit Jahren hartgesottene Horrorfans mit seinem smarten und gespenstischen Machwerk begeistert, ist er noch nicht ganz ein Begriff im Horrorgenre- also, ganz im Sinne von z.B Halloween, das man sofort mit John Carpenter und als Meisterwerk identifiziert.

Wickelt euch in eine Decke, macht sämtliche Lichter aus und lasst euch von uns in eine der eindringlichsten Filmografien der letzten Jahre stürzen.

Oculus: Chapter 3 – The Man With The Plan (2006)


Handlung: Tim Russel (Scott Graham) ist überzeugt, dass ein verfluchter Spiegel seinen Vater veranlasst hat, seine Mutter zu töten. Um dies zu beweisen, begibt er sich in einen Raum mit dem gespenstischen Spiegel, um die Ergebnisse zu filmen – doch sein Griff zur Realität verliert sich schnell.


Oculus 3 – Der Kurzfilm in voller Länge

Spieglein, Spieglein….

Ja, ihr habt das richtig gelesen – Oculus: Kapitel 3. Außer, dass dieser Kurzfilm eigentlich die erste Umsetzung von Flanagans gespenstischer Spiegel-Horrogeschichte ist, die frech wie ein Dreiteiler in Anlehnung an die ursprüngliche Star Wars-Episode IV betitelt ist („Das einzige, was wir getan haben, war irgendwie zu zeigen, dass wir nicht George Lucas waren“, scherzte er). Dieser 30-minütige Kurzfilm ist ein messerscharfes Stück DIY-Film, dessen Herstellung gerade einmal 1500 Dollar gekostet hat – und der fast ausschließlich aus einem Mann besteht, der hier vor einem Spiegel spricht.

Es mag ein Low-Budget-Film sein, aber Flanagans instinktives Horrorszenario wird hier voll ausgenutzt, um aus einem minimalen Set-up eine dichte Atmosphäre des Grauens zu erzeugen. Die ersten zehn Minuten – ein Monolog, in dem Tim die gesamte aufgezeichnete Geschichte des Spiegels und seiner Opfer erzählt – ist besonders wirkungsvoll. Eine Reihe von ununterbrochenen Mini-Horrorgeschichten, von einer Frau, die systematisch ihren ganzen Körper mit einem Hammer zertrümmert, abgesehen von dem Arm, mit dem sie die Waffe führt, bis hin zu einem Opfer, das in einer vollen Badewanne verdurstet.

Am wichtigsten ist jedoch, dass der Kurzfilm Oculus einige von Flanagans meistgenutzten Themen von Anfang an aufgreift: Familientrauma, der anhaltende Horror der Trauer, wortwörtliche und metaphorische Gespenster und einfallsreich ausgeführte großartige Konzepte.


Absentia (2011)

Handlung: Sieben Jahre nach dem Verschwinden ihres Mannes Daniel ist Tricia (Courtney Bell) nun schwanger und beschließt, ihn endlich „in Abwesenheit“ für tot zu erklären, damit sie versuchen kann, mit ihrem Leben fortzufahren.

Doch dabei wird sie von seinem „Antlitz“ heimgesucht – und ihre Schwester Callie (Katie Parker) meint, sein Verschwinden hänge mit einer mysteriösen örtlichen Unterführung zusammen.



Kickstart your Movie

Absentia, ein echter Indie-Film, wurde teilweise von Kickstarter finanziert und kostete nur 70.000 Dollar für die Herstellung. Doch was Flanagans Debütfilm – der ebenfalls von ihm geschrieben, inszeniert und geschnitten wurde – an Produktionswert fehlt, macht er durch ein reichhaltig dramatisches Drehbuch mit fesselnden Beziehungen zwischen den Hauptfiguren und einem richtig gruseligen Konzept über eine Unterführung, die Menschen verschlingt, wett. Mit begrenzten Schauplätzen und Akteuren ist Flanagans erster Film klein, aber formvollendet.

Wie die besten Indie-Debüts – man denke an Christopher Nolans „Following“ oder Kevin Smiths „Clerks“ – bewegt sich Absentia’s Drehbuch vollständig innerhalb der Grenzen seines Budgets, und der Film ist am besten, wenn es darum geht, glaubwürdige Beziehungen zwischen den Hauptfiguren herzustellen.

Da ist Tricia, die sich mit den anhaltenden Fragen rund um das plötzliche Verschwinden ihres Mannes vor sieben Jahren konfrontiert sieht und mit der Schuld kämpft, ihn „aufgegeben“ zu haben“, während sie gleichzeitig anfangen muss, für sich und das Baby, das sie jetzt austrägt, nach vorne zu schauen. Und dann ist da noch ihre Schwester Callie, die jetzt wieder auf der Bildfläche erscheint, nachdem sie in der Reha war. Das verlockende Versprechen einer Nadel ist immer in ihrer Reichweite, wie die Liebe zu ihre Schwester, aber bei der Jagd nach ihren Dämonen hat sie eindeutig viel verpasst um diese Liebe wirklich zu leben. Es ist eine verzwickte Dynamik, die nur noch komplexer wird, je mehr sich die Handlung dreht und wendet.

Während das Charakterdrama unter die Haut geht, gibt es frühe Anzeichen für Flanagans Gabe für Schaurigkeit. Mit einem Minimum an Spezialeffekten holt sich der Film seine beträchtliche Spannung aus verstörenden Low-Budget Motiven: ein leicht wehender Duschvorhang, das drohende Gespenst Daniel’s in Tricias peripherem Blickfeld und Gegenständen, die in immer größerer Zahl in Tricias Haus auftauchen. Und das niederschmetterndes Ende ist ein echter Wermutstropfen, der mit Sicherheit länger verweilt als jeder CGI-Bogeyman.

Absentia ist ein versteckte Indie Perle, die weitgehend unterschätzt wird (in Großbritannien z.B ist sie nicht digital erhältlich, obwohl DVD- und Blu-ray-Kopien bei Amazon erhältlich sind) – und eine, die Flanagan als Filmemacher hervorgebracht hat, der den Horror von Verlust und Trauer durch eine überzeugende Charakterdynamik verarbeiten will.


Oculus (2014)

Handlung: Als Kinder traumatisiert, wuchsen Tim und Kaylie inmitten gespenstischer Ereignisse auf, die anscheinend durch einen unheimlichen Spiegel ausgelöst wurden und zum Tod ihrer Eltern führten.

Als Erwachsener verlässt Tim (Brenton Thwaites) eine psychiatrische Klinik, weil er nicht mehr glaubt, dass ihr Tod übernatürlich war, doch Kaylie (Karen Gillan) ist nur noch mehr davon überzeugt und hat den Spiegel ausfindig gemacht.



Parallelen zu „The Shinning“

Für seinen zweiten Spielfilm kehrte Flanagan zu der Spuk-Spiegelgeschichte zurück, die ihm verhalf, sich einen Namen in der Branche zu machen und erweiterte seinen Kurzfilm zu einem intelligenten und gespenstischen psychologischen Horror in Spielfilmlänge. Wo der Kurzfilm reduziert und dank der Kraft seiner nervenaufreibenden Geschichten erfolgreich war, konnte Flanagan mit entsprechenden Budgets so viel mehr mit dem Langspielfilm-Konzept anbieten.

Nicht zuletzt konnte er zwei gleichzeitige Handlungsstränge liefern, da die Protagonisten Tim und Kaylie als verängstigte Kinder und gefestigte Erwachsene gegen das so genannte Lasser-Glas kämpfen. Flanagans Angstszenarien und das Erzählen von Geschichten sind hier gleichermaßen effektiv. Oculus dreht sich um die Macht der Illusion, darum, dass man dem, was man sieht, nicht trauen kann und die Grenzen dessen, was für Tim und Kaylie real ist und was nicht, verschwimmen ständig. Mit dieser Art von psychologischer Täuschung und einer nichtlinearen Erzählung, ist es die Art von Horrorfilm, die ein junger Christopher Nolan gemacht haben könnte.

In den Rückblenden gibt es Parallelen zu „The Shining“, als die Eltern der Kinder von einer bösen Macht vereinnahmt werden – was angesichts Flanagans späterer Projekte bemerkenswert ist -und während es einige unangenehme Momente gibt (ein Vorfall, bei dem eine Glühbirne zerspringt, verursacht ein Zusammenzucken), ist der Horror hier meist emotional, verwurzelt in Flanagans Lieblingsthemen, dem generationenübergreifenden Trauma und dem Sinn von Trauer und Tod.

Die Art und Weise, wie Vergangenheit und Gegenwart in Oculus miteinander verflochten sind, ist mehr als nur eine Erzählstruktur, sie zeigt, wie die Russell-Kinder selbst als Erwachsene noch immer die Ereignisse durchleben, die sie vor all den Jahren heimgesucht haben.


Before I Wake (2016)

Handlung: Mark und Jessie Hobson (Thomas Jane und Kate Bosworth) trauern über den Unfalltod ihres kleinen Sohnes und beschließen, den jungen Cody (Jacob Tremblay) zu adoptieren.

Während sich die Lebensträume des Jungen erfüllen, sind die Hobsons wie verzaubert – bis auch seine schrecklichen Albträume beginnen, sich zu verwirklichen.



Solides Konzept über Traumata

Before I Wake entstand im Anschluss an Oculus und blieb jahrelang weitgehend unbeachtet, da Relativity Media in Konkurs ging, bis Netflix den Film 2018 wieder aufgriff. Abseits von diesem Hickhack hinter den Kulissen griff Flanagan im Film selbst weiter in seine bevorzugte Themen-Kiste: Kinder und Eltern, die gleichermaßen von Verlust und übernatürlichen Wesen heimgesucht werden.

Während es hier noch deutliche Horror-Anklänge gibt, tauscht Flanagan die Klarheit von Oculus gegen die dunkle Aura, einer von Guillermo del Toro inspirierten Märchenerzählung, die sich an die melancholische Schönheit eines verwaisten Jungen anlehnt. Er wird glaubwürdig von Jacob Tremblay gespielt, der diesen Film gedreht hat, bevor er alle in „Raum“ weinen ließ – dessen Träume im Schlaf wahr werden.

Es ist ein solides Konzept, das Flanagan in einige schwierige Emotionen eintauchen lässt, denn Cody träumt nicht nur viel von Schmetterlingen (die in glänzender CGI manchmal etwas kitschig dargestellt werden), sondern auch von Sean, dem toten Sohn des Paares, das ihn adoptiert hat, was Mutter Jessie dazu veranlasst, ihm mehr über ihren verstorbenen Jungen beizubringen, damit er jede Nacht wieder auftaucht. Das einzige Problem ist, dass Cody auch viel von „The Canker Man“ träumt, einem Boogeyman mit leuchtenden Augen, der mit Codys eigenem verdrängten Trauma in Verbindung steht.

Wenn es auch nicht Flanagans bestes Werk geworden ist, so hat Before I Wake (das unter dem viel poetischeren Titel Somnia produziert wurde) doch jede Menge nachdenklicher Ideen, einprägsamer Bilder und berührender Darbietungen. Und am wichtigsten ist, dass es seinen Weg als Filmemacher fortsetzt, der eindeutig genauso in emotionales Geschichtenerzählen investiert hat, wie er in der Nacht die Dinge in Bewegung setzt.


Hush (2016)


Handlung: Die gehörlose Schriftstellerin Maddie Young (Kate Siegel) lebt in einem abgelegenen Waldhaus, in dem sie versucht, ihren neuesten Roman zu beenden.

Aber sie findet sich von einem maskierten Killer mit einer Armbrust verfolgt, mit dem großen Nachteil, dass sie ihn nicht kommen hören kann.



Diagese und ASMR

Wenn irgendein Film in Flanagans Film-Vita als der ungewöhnlichste heraussticht, dann ist es Hush. Es gibt keine doppelte Zeitlinie, keine Kindheitstrauer, nur einen nüchternen Einbruch mit einem konzeptionellen Aufbau. Aber es ist diese schlanke Effizienz und das Genre-Know-how, die ihn als Flanagan-Film auszeichnen, vollgepackt mit Ideen, die vertraute Subgenres frisch wirken lassen.

Die bemerkenswerteste davon ist, dass Hushs Protagonistin Maddie (gespielt von Flanagans Frau und regelmäßiger Mitstreiterin Kate Siegel, die hier auch Co-Autorin ist) taub ist. Ein großer Nachteil, wenn sie von einem maskierten Psychokiller verfolgt wird, der so viel Lärm machen kann, wie er will, ohne entdeckt zu werden. Der Film profitiert von einem ausgeklügelten Sounddesign, um maximale Spannung zu erzeugen – manchmal werden diegetische Geräusche (Anm. Die Welt in einem Film, ob Charaktere, die Handlung, Einstellungen oder Sounds, welche die Filmwelt beeinflussen,  bezeichnet man als Diegesis. Die Elemente die für die Diegeses typisch sind nennt man diegetische Elemente. Sie sind also Töne, Geräusche bzw. Sounds, die durch Instrumente, Personen oder Objekte direkt im Film erzeugt werden. Diegetische Elemente sind dem entsprechend auch für die Akteure innerhalb eines Filmes zu hören und wahrnehmbar.) – wie eine Art ASMR (<– klicken zur Begriffserklärung ) akzentuiert, um all die Dinge hervorzuheben, die Maddie nicht hören kann, und in anderen Momenten wird die Tonmischung fast vollständig gedämpft, um das Publikum in ihren Kopf zu versetzen. Der Ton selbst wird an einem Punkt sogar zu einer Waffe.

Maddies Taubheit bedeutet auch, dass Hush ein weitgehend dialogfreies Erlebnis ist, bevor es fast ausschließlich durch die Handlung bestimmt wird. Jede Szene, jede Aufnahme vermittelt Informationen, und nichts wird während der stromlinienförmigen 80-minütigen Laufzeit verschwendet. Vor allem aber bewies Hush, dass Flanagan auch ohne die Untermalung tragischer Familiengeschichten höchste Spannung vermitteln konnte.

Trivia: Maddie ist eine Horrorschriftstellerin mit einem besonders King’schen Touch – und der Titel ihres Erfolgsromans „Midnight Mass“ ist auch der Name von Flanagans nächster Netflix-Miniserie, die 2021 erscheint.

Ouija: Origin Of Evil (2016)

Handlung: 1967 führt Alice Zander (Elizabeth Reaser) in L.A eine Schein-Seance-Sitzung durch, um für ihre Töchter Lina (Annalise Basso) und Doris (Lulu Wilson) zu sorgen. Als sie jedoch ein Ouija-Brett als neue Requisite für ihre Nummer kauft, kommt sie mit etwas sehr Realem in Kontakt.


©Universal Pictures

Der Start seiner Ensemble-Besetzung

2016 war ein produktives Jahr für Flanagan. Monate nachdem Hush auf Netflix gelandet ist, hatte er an Halloween einen großen Hollywood-Franchise-Horror in den Kinos. Und während der erste Ouija kein Kassenschlager war, ist Origin Of Evil viel besser. Ein spielerisches Prequel, das sich von den meisten Mainstream-Gruselfilmen abhebt, ganz zu schweigen von einem, der auf einem Hasbro-Produkt basiert.

Das liegt zum Teil daran, dass der Film in der Zeit spielt, die seine späten 60er-Jahre-Kulisse bietet. Mit digital angebrachten Zigarettenrändern, Retro-Studio-Logos und einer analogen Filmästhetik und mit einer anfänglichen klanglichen Respektlosigkeit, die von der zentralen Betrüger-Familie verkörpert wird, deren hinterhältiges spirituelle Medium-Geschäft in Wirklichkeit ein ausgeklügelter Schwindel ist. Bis es plötzlich keiner mehr ist, da der beiläufige Kauf eines Ouija-Bretts die Türen für echte böse Geister öffnet, die im Haushalt von Zander lauern. Die Mädchen versuchen, Kontakt zu ihrem toten Vater Roger aufzunehmen, und ehe man sich versieht, wird Doris besessen und die Leichen häufen sich.

Als ein Horror Mix aus „Geisterhaus trifft besessene Kinder“ – huldigen die Schrecken hier Filmen wie Der Exorzist und Das Omen – sowie Peter Medaks The Changeling – und führen zu einem überraschend düsteren Finale. Die Geisterparade von Origin Of Evil zeigt, dass Flanagan auch in konventionellem Gewand effektive, perfekt getimte Schrecken Szenarien zaubern kann. Und doch liegt unter den Spukgeschichten das dramatische Kernstück in der Familiendynamik zwischen Alice, Lina und Doris und in der Leere, die durch Rogers Tod hinterlassen wurde.

Innerhalb von Flanagans Werken markierte „Origin Of Evil“ den eigentlichen Beginn seiner regulären Ensemblebesetzung. Er holte Annalise Basso aus Oculus zurück, entwarf für Kate Siegel eine Nebenrolle, arbeitete zum ersten Mal mit Elizabeth Reaser, die für Hill House erneut zurückkehrte. Dazu markierte er die erste von vielen Kollaborationen mit Henry Thomas, der hier einen Priester mit tragischer Vergangenheit spielte.


Gerald’s Game (2017)

Handlung: Um ihr Sexualleben aufzupeppen, reisen Ehemann Gerald (Bruce Greenwood) und Ehefrau Jessie (Carla Gugino) für ein Wochenende in eine Waldhütte. Als Teil eines Sexspiels fesselt Gerald Jessie mit Handschellen an das Bett – und erleidet dann einen tödlichen Herzinfarkt, bei dem seine Frau gefangen bleibt und ums Überleben kämpft.



Ein kleines Werk von Stephen King stark umgesetzt

Wo man insbesondere bei Oculus und Hush sehen konnte, wie Flanagan seinen starken Einfluss von Stephen King kanalisierte (einige King-Bücher tauchen sogar in Hush auf), arbeitete er zum ersten Mal direkt mit King-Material, und zwar in einer Adaption eines seiner weniger bekannten Romane. Gerald’s Game hatte noch nie den Sprung auf die Leinwand geschafft, vor allem, weil sein zentrales Konzept – eine Frau ist mit Handschellen an ein Bett gefesselt – bei weitem nicht von Natur aus Kino Material ist.

Was es nur noch erstaunlicher macht, dass Flanagans Film entschlossen ist, sich innerhalb der Grenzen von vier Wänden zu bewegen und sich auf eine Figur konzentriert, die diese vier Wände nicht verlassen kann. Er liefert wichtige psychologische Erkenntnisse, ekelerregende Augenblicke der Gewalt und einige wirklich erschreckende Szenen. Denn so sehr sich Geralds Game wie ein Survival-Thriller anhört, so sehr bietet es auch einen albtraumhaften Bösewicht im Moonlight Man, eine gespenstische Figur, die Jessie verfolgt, während sie sich nicht bewegen kann.

Es sind jedoch die emotionalen Enthüllungen, die Jessie am härtesten treffen. Während sie über Fluchtwege nachdenkt, wird Jessie durch ihr Viesionen sowohl von Gerald als auch von ihrem inneren Selbst verspottet (Gugino ist in der Doppelrolle brillant). Jessie erinnert sich an verdrängte Erinnerungen, an eine gewalttätige Kindheit, die in ihrem späteren Leben und ihrer Ehe nachhallte. Diese Rückblenden sind mit tiefrotem Licht durchleuchtet, einer eigenen eindrucksvollen Vision der Hölle. Und wenn es für Jessie an der Zeit ist, ihre Flucht zu ergreifen, lässt sich ein erschreckend grausames Bild nicht so leicht abschütteln.

Einfallsreich gedreht, brillant gespielt (mit Auftritten der immer wiederkehrenden Figuren Kate Siegel und Henry Thomas in den Rückblenden als Jessies Eltern) und zutiefst emotional, ist Gerald’s Game eine von Flanagans bisher größten Errungenschaften – er hat ein kleines Werk von Stephen King sehr stark umgesetzt.


The Haunting Of Hill House (2018)

Handlung: Im Sommer 1992 erleben die Familie Crain – die Eltern Hugh (Henry Thomas) und Olivia (Carla Gugino) und ihre Kinder Steven, Shirley, Theo, Luke und Nell – zunehmende übernatürliche Ereignisse, während sie das gruselige Herrenhaus Hill House renovieren, das ihren Höhepunkt in einer Familientragödie findet.

Als Erwachsene kehren die Crain-Kinder, die jeweils auf unterschiedliche Weise mit diesen Ereignissen umgegangen sind, durch einen plötzlichen Verlust ins Haus zurück.


© Netflix

Ein Horror Meisterwerk in Serienformat

Alles, was Mike Flanagan bisher gemacht hatte, führte zu The Haunting Of Hill House, einer Netflix – Serie mit 10 Episoden, die ausschließlich von ihm selbst gedreht wurde. Flanagan adaptierte Shirley Jacksons klassischen Roman und drehte eine fesselnde Serie, die den Höhepunkt der Jahre markierte, in denen er sowohl sein Horrorhandwerk als auch seine Fähigkeit, vielschichtige, emotionale Familiengeschichten zu erzählen, verfeinerte.

Denn letztendlich ist es das, was Hill House bietet: Ein großartiges Familiendrama mit zusätzlichen Schrecken, das zwei Zeit Linien nachzeichnet, welche die angespannten Bindungen, die Angst, die Liebe, den Kummer und die Frustrationen der Crains ausgraben, während sie mit Verlust fertig werden müssen. Es ist natürlich auch eine komplexe Geistergeschichte mit Ereignissen, die nachts (und manchmal auch tagsüber) durcheinander geraten und – auf geniale Weise, alle Arten von Spektralfiguren enthalten, die im Hintergrund versteckt sind. Wie der Titel schon sagt, handelt es sich bei The Haunting Of Hill House um eine Serie über Menschen, die in jeder Hinsicht verfolgt werden, von ihrer traumatischen Vergangenheit, von ihren eigenen Ängsten, von den Rissen, die sich im Laufe der Jahre in ihre Beziehungen eingeschlichen haben.

Hill House ist nicht nur eine simple Geistergeschichte, es ist eine Geschichte über die Natur von Geistergeschichten und auch von Geistern selbst. Die Schrecken rufen vielleicht keine Albträume hervor (obwohl die Szene in einem Auto ein sofortiger Klassiker ist), aber die Emotionen sind verheerend. Von der Enthüllung hinter dem wiederkehrenden Gespenst der „Bent Neck Lady“ bis hin zu Lukes Kämpfen mit der Sucht, als er seine Vergangenheit zum Teufel jagd, zur tragischen Unvermeidlichkeit von Olivia Crains Abstieg in den Wahnsinn.

Was die Entwicklung von Flanagans technischem Handwerk angeht, so ist es Episode 6, „Zwei Stürme“, die wirklich begeistert. Eine Reihe von längeren Einstellungen (die längste Taktung in 17 Minuten), die als Einzelaufnahme präsentiert werden, während bei einer Beerdigung Emotionen überkochen. Es ist sowohl tiefgreifend als auch schwindelerregend beeindruckend. Eine Einstellung beginnt sogar im Bestattungsinstitut, bevor sie in den Hallen des Hill House selbst fortgesetzt wird, alles in einer einzigen Einstellung. Es ist ein echtes Horror-Meisterwerk.


Doctor Sleep (2019)

Handlung: Nach seinen Erfahrungen im Overlook Hotel als Kind hat der erwachsene Dan Torrance (Ewan McGregor) einen Weg gefunden, die Geister in Schach zu halten, ist aber der gleichen Alkoholabhängigkeit ausgesetzt, die seinen Vater vor all den Jahren geplagt hat.

Als der junge Abra (Kyliegh Curran), der in unglaublich starkem Maße die Fähigkeit ‚Shining‘ besitzt, Dan psychisch kontaktiert, versucht er, sie vor der schändlichen Kultführerin Rose The Hat (Rebecca Ferguson) und ihrer Bande von Unsterblichen, dem Wahren Knoten, zu schützen .



Ein Drahtseilakt mit Flanagan’s Handschrift

Sprechen wir über einen Drahtseilakt. Denn mit Doctor Sleep musste Flanagan Stephen Kings Fortsetzung mit dem Stanley Kubrick Shining-Film verweben, den King schon damals hasste. Und der Film schafft es beinahe auf wundersame Weise, der Geschichte über einen mächtigen jungen Hellseher ( Torrance ) und einer Truppe Unsterblicher, die sich vom „Steam“ der Menschen ernähren, die das „Shinning“ in sich tragen, treu zu bleiben und dabei die ikonischen visuellen Inhalte von Kubricks Overlook beizubehalten. Der Name, der bei der ganzen Diskussion über den Film oft verloren geht, ist Flanagans. Der Film trägt seine Handschrift.

Denn in Wirklichkeit ist Doctor Sleep ein klassischer Mike-Flanagan-Film. Ein Horror-Drama über Kindheitstraumata, die im Erwachsenen-leben schwer auf der Seele lasten. Ein Werk über die Auseinandersetzung mit den Geistern der Vergangenheit, über die Auseinandersetzung mit zutiefst menschlichen Fehlern. Es gibt sogar einen letzten Showdown in einem verlassenen, gespenstischen Villengebäude – obwohl es eines der berühmtesten Spukhotels aller Zeiten ist.

Während einer Laufzeit von 150 Minuten bietet Flanagans sehr bewusstes Tempo viel Zeit, sich in die Geschichten von Dan, Abra und Rose einzuleben und sich mit dem auseinanderzusetzen, was sie ausmacht. Dan, der gezwungen ist, sich seiner Vergangenheit zu stellen und sich wieder mit seinem „Shine“ zu verbinden. Abra, die sich ihre Kraft zunutze macht und Dan aus der Dunkelheit herauszieht, und Rose, die der Auslöschung des „wahren Knotens“ gegenübersteht und die Last ihrer weiteren Existenz auf ihren Schultern trägt.

Und wenn man von Rose „The Hat“ spricht, fühlt sich Fergusons vielschichtiger Bösewicht bereits ikonisch an. Ob sie ihre Opfer verführt oder ihre Seele verzehrt oder gegen den Kummer kämpft, ihre eigene Familie zu verlieren, wenn ihre Vorräte an „Steam“ zur Neige gehen, sie fesselt uns. Trotz allem, wie Flanagan auch gerne mit Kubricks filmischen Vermächtnis spielt, bringt er hier viele seiner eigenen verblüffenden Bilder mit, insbesondere in einer beeindruckenden Astralprojektionssequenz.

Von Kritikern gut aufgenommen, aber an der Kino-Kasse nicht erfolgreich, bleibt das Gefühl, dass die Zeit für Doctor Sleep noch kommen wird. Vielleicht war das Publikum nicht darauf vorbereitet, dass es sich im traditionellen Sinne nicht um eine Horrorgeschichte handelt. Oder zumindest nicht zu beängstigend. Aber es sind eindeutig Stephen King (über Kubrick Umwege ) und Flanagan, die übernatürliche und Fantasy-Elemente verwenden, um sich in eine emotionale Familiengeschichte zu vertiefen.


The Haunting Of Bly Manor (2020)

Handlung: Das amerikanische Au Pair Dani Clayton (Victoria Pedretti) bekommt einen Job im britischen Landhaus Bly Manor und kümmert sich um die verwaisten Kinder Flora (Amelie Bea Smith) und Miles (Benjamin Evan Ainsworth).

Aber es gibt gruselige Ereignisse mit allen, die mit Bly in Verbindung stehen – insbesondere in Bezug auf den Tod der ehemaligen Haushälterin Jessel (Tahirah Sharif) und ihres verschwundenen Geliebten Peter Quint (Oliver Jackson-Cohen).


https://www.youtube.com/watch?v=tykS7QfTWMQ

Noch nie war Flanagan so erschreckend Romantisch

Im Laufe der Zeit ist Flanagans Produktion sentimentaler geworden. Wo Absentia, Oculus und Ouija: Origin Of Evil in niederschmetternden Endungen münden, hat er in jüngerer Zeit Schlussfolgerungen gezogen, die sich an der Süße des Bitter-süßen orientieren. Und The Haunting Of Bly Manor ist seine bisher offensichtlichste, romantische Arbeit, die eine Reihe miteinander verflochtener Geistergeschichten, die in zum Scheitern verurteilten Liebesgeschichten gefangen sind, liefert.

Bemerkenswerterweise war Flanagan selbst hier weniger involviert als bei Hill House. Während er noch der Schöpfer und ausführende Produzent war, schrieb und inszenierte er nur die erste Episode. Auch wenn es nicht so meisterhaft oder bahnbrechend ist wie in der vorherigen Serie, setzt Bly Manor – basierend auf The Turn Of The Screw und anderen Henry James-Geschichten – das Ethos des Filmemachers fort, den Charakter in den Mittelpunkt von allem zu stellen und die Geister (Wort wörtlich) als Nebendarsteller fungieren zu lassen.

Während ein Großteil der Besetzung von Hill House zurückkehrt – einschließlich der herausragenden Victoria Pedretti, die hier im Mittelpunkt steht, sowie der Hauptrollen für Oliver Jackson-Cohen, Henry Thomas und einer wichtigen, aber verderblichen Rolle für Kate Siegel gegen Ende der Serie – sind es die Neuankömmlinge, die den größten Einfluss haben. T’Nia Miller ist sowohl eisern als auch zutiefst menschlich als Haushälterin Hannah Grose, deren Chemie mit Rahul Kohli’s Hauskoch Owen einige der besten Fäden der Serie spinnt.


The Haunting Of Bly Manor (2020) bei Netflix
©Netflix – The Haunting Of Bly Manor (2020)

Puristisch mit neuen Ideen, wie mit Episode 8 gezeigt wird

Und dann ist da noch Amelia Eve als Gärtnerin Jamie, die eine wirklich berührende Beziehung zu Pedretti’s Dani Clayton entwickelt, die schwerer wiegt als jeder gruselige Schock. Zum größten Teil sind die Geister von Bly Manor verlorene Lieben, Seelen mit gebrochenem Herzen, die verweilen. Es ist in jeder Hinsicht eine Wendung der traditionellen gotischen Romantik.

Als solches hat Bly Manor selbst ein weicheres, wärmeres Gefühl als die kühlen Gänge von Hill House und die Ängste sind hier viel weniger ausgeprägt. Es ist eine Horrorgeschichte durch und durch, aber puristischer im thematischen Sinne, weitgehend weniger Erschütternd. Und während die Serie größtenteils in den 80er Jahren spielt, macht ihre heutige Rahmenerzählung (Double Timeline – Check), die die Rückkehr von Flanagan-Liebling Carla Gugino zeigt, deutlich, dass es sich wie Hill House um eine Serie über das Geschichtenerzählen und Weitergabe von Geistergeschichten handelt.

Es ist eine Idee, die in Episode 8 am stärksten zum Vorschein kommt, eine eigenständige Geschichte, die sich von den zeitgenössischen Erzählungen abhebt und vollständig in Schwarzweiß gedreht wurde und eine traurige, gruselige Handlung enthält, die die Geheimnisse der gesamten Staffel enthüllt.


Mika Flanagan in Midnight Mass
Mike Flanagan hat den Dreh zu Midnight Mass begonnen

Ausblick: Was kommt als nächstes? Flanagan dreht derzeit seine neue Netflix-Serie Midnight Mass ( siehe oben bei HUSH ). Geht um einen Priester, der in einer mysteriösen Inselgemeinschaft ankommt.

Er wird erneut jede Episode selbst inszenieren und befördert sich damit in sein zweites Jahrzehnt, in welchem er Horrorgeschichten für große und kleine Bildschirme erfindet. Da seine Arbeit schon in den letzten zehn Jahren von Bedeutung geworden ist, freuen wir uns auf weitere Horror-Jahre. Der neue Meister des Grauens ist gekommen um zu bleiben.


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