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THE DISSIDENT von Regisseur und Oscar-Gewinner Bryan Fogel (IKARUS) ist ein Dokumentar-Thriller, der in die höchsten Sphären der Macht vordringt, um das Labyrinth der Vertuschung in Zusammenhang mit der Ermordung des Washington-Post-Journalisten Jamal Khashoggi im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul aufzudecken.

Regie: Bryan Fogel | Drehbuch: Bryan Fogel | Erscheinungsdatum: 16.04.21 Video on Demand | Laufzeit:118 min.

Inhalt: Jamal Kashoggi war zunächst 20 Jahre im engsten Kreis des Saudi-Arabischen Regierungsapparats tätig. Als er jedoch die mangelnde Pressefreiheit und Missstände unter journalistischem Deckmantel verbreitete, etablierte er sich zum Staatsfeind und zog sich in die USA zurück. Um sich mit seiner Partnerin zu vermählen, reiste er nach Istanbul ins Arabische Konsulat, um nötige Papiere anzufordern. Seine Verlobte wartete draußen auf ihn. Er kam nie wieder raus. Gleichzeitig wird auch die politische Arbeit des arabischen Asylanten und Vloggers Omar Abdulaziz beleuchtet, der als Regimekritiker ebenso mit menschenverachtenden Repressionen bestraft wurde.

©DCM Film Distribution GmbH

Doku -Film Kritik:

von Georg Reinke – „Mord an der Meinungsfreiheit“

Twitter als Sprachrohr

Wenn man die Tonmitschnitte liest, vermutet man sich in einer der zahlreichen True Crime Netflix Serien wie „Mindhunter“. „Ist unser Opfertier schon eingetroffen?“ , „Der Torso wird nicht in die Tüte passen.“ Der Mord am Regimekritiker und Journalisten Jamal Kashoggi ist eines der größten Vergehen an der Pressefreiheit seit langem. Die Zusammenhänge legen gleichzeitig auch offen, welche Macht die sozialen Medien mittlerweile auf Regierungschiffren ausüben.

Der dokumentarische Thriller hält sich frei, neben dem akribisch recherchierten Tathergang auch den Diskurs über digitalisierte Medien zu eröffnen. Der arabische Kronprinz Mohammad bin Salman wird als Drahtzieher für eine systematische Unterdrückung der Redefreiheit genannt. Da Twitter im Nahen Osten von prozentual mehr Menschen genutzt wird als im Westen, ist die Zensur und Manipulation dessen Werkzeug für eine oppositionsfeindliche Politik.

Omar Abdulaziz entwickelte eine Kontertaktik, um Twitterbots und Trolls, die er „Die Fliegen“ nennt, entgegenzuwirken, eine Institution, die regimefeindliche Tweets und Tweeter online denunziert. Sein eigenes Projekt wird unter dem Hashtag „Armee der Bienen“ geführt. Kashoggis Unterstützung an diesem Projekt wird ihm zum Verhängnis.

Film Plakat international 
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Konsequenzloses Stillschweigen

Viele Aspekte des Mordes sind erschreckend und lassen einen fassungslos zurück. Die Systematik, 15 arabische Mitglieder des königlichen Geleits dafür einzusetzen (inklusive eines Pathologens); die Perversion, diese in einem Privatjet in die Türkei einfliegen zu lassen; die Erpressungen gegenüber Abdulaziz und seinem Bruder, der bis heute ohne Strafanzeige im Gefängnis sitzt.

Aber das unheimlichste, besorgniserregendste ist, mit welcher Offenheit und Konsequenzlosigkeit die Tat stattfand. Obgleich selbst Fogel an das Abhörmaterial gelangte und offen darlegte, gibt es keine Nation auf der Welt, die Sanktionen einleitete, oder Salman offen mit den Vorwürfen in einem rechtmäßigen Maße konfrontierte. Fogel verteilt Stiche gegen Trump, aber weder Deutschland noch andere Länder dankten die Situation mit mehr als „Wir gehen dem nach.“ ab. Auch Deutschland war im Übrigen nicht bereit, die wirtschaftliche Zusammenarbeit zu gefährden.

Dabei geht es hier nicht um Kashoggi explizit; es geht um moralische und demokratische Werte. Vergleichbar der Situation, mit einem Mörder guten Gewissens das Brot zu brechen und eine WG zu teilen. Und das Schlimmste ist, dass die wirtschaftlichen „Nöte“ aus Waffenverkaufen und Öl bestehen. Zwei Werkzeuge; das Eine zum Vernichten von Menschen, das Andere zum Vernichten der Umwelt. Also keine räsonable Berechtigung.

The Dissident
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Fakten bestimmen Follower

Fogel vertritt gewagte, aber schöne ästhetische Mittel, um den Film bedeutungsschwanger zu gestaltet. Nach anderthalb Stunden langweilt dies allerdings, auf einige B-Rolls hätte man schlichtweg verzichten können. Omar Abulaziz als Kronzeugen in die Doku einzuweben, macht durchaus Sinn.

Zwar manchmal etwas exaltiert dargestellt, transferiert sein Lebensweg ein wichtiges Element; nämlich welche Gefahr für die Redefreiheit die technologische Entwicklung Saudi-Arabiens birgt. Dass es möglich war, selbst Jeff Bezos mit einer Whatsapp Nachricht zu hacken, deutet von Gefahr. Die Einfuhr digitaler Medien (das hat die Dokumentation „The Social Dilemma“ jedoch weitaus wirksamer gestaltet) hat einen so hochgradigen politischen Stellenwert erreicht, dass Regierungen sich veranlasst sehen, diese zu kontrollieren, um nicht wie bei dem arabischen Frühling eine potentielle regimefeindliche Vernetzung zuzulassen. Und dieser Umstand betrifft nicht nur Saudi- Arabien.



Mit welcher Vielfalt auf Plattformen wie Instagram, Twitter oder teils noch Facebook Stimmungsmache, Faktenverfälschungen und gespaltene, hasserfüllte Meinungslager aufeinanderprallen und Schäden verursachen ist höchst besorgniserregend. „The Dissident“ kann hier sehr effektiv allegorisch auch auf diese Problematik hinweisen. Dass Fogel so eng mit der türkischen Regierung zwecks seiner Recherche zusammenarbeitet wirkt dahingehend auch etwas befremdlich.

Denn Erdogan und seine Regierungsleute so löblich darzustellen, dürfte eigentlich nicht im Anliegen des Films sein. Auch die Zeitsprünge und Kontinuität des Films sind oftmals verwirrend. Die emotionale Komponente in Form Hatice Cengiz erweicht den Film zwar zwischendurch, wirkt aber oftmals eher disruptiv.

Der Mord am Journalisten Kashohggi wird in der Dokumentation "The Dissident" von Bryan Fogel aufgearbeitet.
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Fazit: „The Dissident“ reiht sich ein in eine Fülle sehr gut recherchierter Dokumentationen der letzten Monate und spricht im wesentlichen Kern auch relevante Topics an. Insbesondere der repressive Charakter der Digitalisierung erfüllt hier ein erschreckendes Momentum. Man sollte zudem meinen, dass mangelnde Menschlichkeit im Kontra zu Wirtschaftlichkeit nicht mehr das Potential hat zu erschrecken – aber irgendwie doch.

Dass sich immer mehr gesellschaftsrelevante Diskurse im dokumentarischen Bereich auftun ( „Seaspiracy“, „Social Dilemma“, oder „Mein Lehrer, der Krake“.) weist gleichzeitig auch wieder auf, dass sich das visuelle Medium seiner kontemplativ – kritischen Funktion bewusst ist. „The Dissident“ kann sich dem Zeitgeist ohne Scham anschließen. Zwar mit kleinen Mängeln versehen, sticht die Doku doch aus der zigsten Serienmörder Rekapitulation hervor.

Wertung: 7,5 / 10

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