Was passiert, wenn sich der Hass, den man in die Welt hinausschickt, gegen einen selbst richtet? Die norwegische Miniserie Toxic Tom konfrontiert das Publikum mit dieser Frage auf schonungslose, aber zutiefst menschliche Weise. Zwischen digitaler Eskalation, verletzter Männlichkeit und der Sehnsucht nach Vergebung erzählt die Serie, die nun in der ZDF Mediathek abrufbar ist, eine Geschichte über Schuld, Scham und Identität in einer Gesellschaft, die zwischen moralischer Empörung und öffentlicher Vernichtung schwankt.
Ein Täter wird zum Opfer seiner eigenen Wut
Tom Hallsténsen, gespielt von Anders Baasmo, ist ein Mann, der sich im Netz in seinen eigenen Zorn verstrickt. Frustriert, vereinsamt und von einer unsichtbaren Kränkung getrieben, attackiert er die feministische Comedienne Live Stensvaag (Ingrid Giæver) mit einer Drohung, die zur Grenzüberschreitung wird. Was als anonymer Online-Angriff beginnt, endet in einem realen Albtraum. Lives Community enttarnt den Troll und macht aus dem Angreifer einen Geächteten.
Der öffentliche Pranger, den Tom so leichtfertig über andere brachte, trifft ihn nun selbst mit voller Wucht. Seine Identität wird offengelegt, seine intimsten Geheimnisse werden zu digitaler Beute. Zwischen Empörung, Häme und Morddrohungen bricht sein Leben zusammen. Verkleidet als Frau flieht er vor den Kameras, vor der Scham und vor sich selbst. Als „Berit“ erlebt er, was es heißt, Objekt von Gewalt und Erniedrigung zu werden und wie fragil der Schutz gesellschaftlicher Masken ist.
Eine Gesellschaft im Spiegel ihrer digitalen Zerrissenheit
Toxic Tom ist mehr als nur eine Geschichte darüber, wie ein Täter den Geschmack seiner eigenen Moral zu spüren bekommt. Die Serie bietet einen radikalen Einblick in die Mechanismen der Hasskultur, der öffentlichen Demütigung und der Sehnsucht nach moralischer Reinheit. Was als düstere Satire beginnt, verwandelt sich schnell in ein psychologisches Drama über Identität und Verantwortung.
Autor und Regisseur Thomas Seeberg Torjussen zeichnet das Porträt eines Mannes, der sich in einer Spirale aus Selbsthass, Einsamkeit und moralischem Scheitern verliert. Baasmo spielt diese Zerrissenheit mit beeindruckender Präzision. Sein Tom ist weder Monster noch Märtyrer, sondern ein Mensch, der an der Leere seines eigenen Lebens zerbricht. Ingrid Giæver als Live verkörpert dabei das Gegenbild einer Frau, die gelernt hat, mit öffentlicher Gewalt zu leben und die dennoch verletzlich bleibt.
Hasserfüllte Männer, Gewalt gegen Frauen, Public Shaming, Fake Reality. Was hält eine Gesellschaft noch zusammen? Wie schaffen es Menschen, sich aus Rollenbildern und Denkmustern zu befreien, die nur Abwertung und Polarisierung produzieren? Wie kann man aufhören, sich selbst zu belügen? „Toxic Tom“ sucht nach Antworten auf diese Fragen. Die norwegische Mini-Serie ist drastisch in ihrer Darstellung emotionaler Abgründe, ehrlich in Bezug auf die Sehnsüchte ihrer Charaktere und erfüllt von der Hoffnung auf ein Ende der digitalen Einsamkeit.
Autor und Regisseur Thomas Seeberg Torjussen und sein Cast, allen voran der bei „Cannesseries“ ausgezeichnete Anders Baasmo, erzählen in „Toxic Tom“ düster-humorvoll, aber auch überraschend zärtlich. Die Serie, die mit den Koproduktionspartnern Maipo Film und NRK, dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen Norwegens, entstand, zeigt einmal mehr, wie fruchtbar die internationale Zusammenarbeit an gesellschaftsrelevanten Stoffen sein kann.
Maik Platzen- HR Internationale Fiktion
Düster, ehrlich, überraschend zärtlich
Was Toxic Tom von vielen Serien mit ähnlichem Thema unterscheidet, ist der Mut zur Ambivalenz. Torjussen zeigt keine klaren Helden oder Schurken, sondern eine Gesellschaft, die im digitalen Spiegelbild ihrer eigenen Widersprüche erstarrt. Die Serie kombiniert bittere Ironie mit Momenten echter Empathie. Gerade dann, wenn man als Zuschauer den moralischen Abstand wahren will, zwingt sie dazu, Fragen zu stellen, über die Verantwortung jedes Einzelnen im digitalen Zeitalter.
Düstere Bildwelten, präzise Dialoge und eine Inszenierung, die zwischen Drama und schwarzer Komödie pendelt, machen Toxic Tom zu einer der sehenswertesten europäischen Serien des Jahres. Sie ist eher ein Spiegel unserer digitalen Gegenwart, in der Empörung schneller geteilt wird als Mitgefühl. Torjussen zeigt mit unerschütterlicher Klarheit, dass Hass nicht verschwindet, wenn man ihn bestraft, er verändert nur seine Richtung. Zwischen Tragik und schwarzem Humor entsteht eine Erzählung, die weh tut, weil sie wahr ist.





