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Abenddämmerung im Westen der USA. Eine Frau geht mit einer Petroleum Lampe über die Steppe zu ihrem Wohnwagen. Nomadland heisst der Film mit Frances McDarmond

Regie: Chloe Zhao | Darsteller: Frances McDormand, David Strathairn, Linda May, Swankie und Bob Wells

Story: Nachdem sie ihren langjährigen Job in Empire, Nevada, verloren hat, packt die verwitwete Fern (Frances McDormand) ihr Leben in einen kleinen Van und reist durch den amerikanischen Westen, wo sie Gelegenheitsjobs erledigt und Erfahrungen mit anderen Nomaden am Rande der konventionellen Gesellschaft austauscht.

Film Kritik:

von Ilija Glavas – „Born in the USA in Filmform : Ein poetischer und fast dokumentarischer Film“

Es wäre ein gewagter Tipp gewesen, darauf zu wetten, dass sich der Must-See-Film des Jahres 2021 um eine 61-jährige Frau drehen würde, die in einen Eimer scheißt.

Aber Chloe Zhaos Film, der sich um Frances McDormand als Reisende, die ein Leben am Rande der Gesellschaft führt, dreht, ist ein kleines Wunder von einem Film. Aber gleichzeitig auch eine nationale Zustandsbeschreibung über eine vergessene Unterschicht aus verschwindenden Arbeiterklassengemeinschaften und ein persönliches Porträt einer beeindruckenden Widerstandsfähigkeit.

Zhaos zwei frühere Filme, Songs My Brother Taught Me –> ( HIER GEHT ES ZU UNSERER KRITIK) und The Rider, spielten intime, kleinformatige Dramen mit nicht-professionellen Darstellern vor dem gewaltigen Himmel und den weiten Landschaften des amerikanischen Kernlandes. Nomadland setzt diese Beobachtungen fort, hebt ihre Kunst aber auf ein höheres Niveau.

Es ist ein wunderschön gemachter, klarer Blick auf Begriffe wie Heimat, Verlust und die Sichtbarkeit von Frauen, der mit einer großen emotionalen Wucht geliefert wird.

Frances McDormand und David Strathairn in NOMADLAND sitzen auf Campingstühlen im Nirgendwo.
Frances McDormand und David Strathairn in NOMADLAND. Photo Courtesy of Searchlight Pictures.
© 2020 20th Century Studios All Rights Reserved

Heimatlos ist nicht dasselbe wie Obdachlos

Nomadland weicht insofern von Zhaos bisheriger Arbeitsweise ab, als dass sie dieses Mal, wenn auch nur sehr vage, nach einer Vorlage -Jessica Bruders gleichnamiges Buch- arbeitet und mit einer bekannten Schauspielerin besetzt ist.

Frances McDormand ist Fern, eine entschlossene, hart arbeitende Witwe, die ihr ganzes bisheriges Leben in Empire, Nevada, verbracht hat, das 2011 einen schweren Schlag erlitt, nachdem die Stadt versorgende Mine geschlossen wurde. Und Empire ist sogar von der Landkarte der USA gefegt worden, indem man der Kleinstadt offiziell die Postleitzahl entzog.

Zhao und McDormand etablieren Fern in einfachen, aber aussagekräftigen Szenen – ihr Schmiegen an die Latzhose ihres verstorbenen Mannes, während sie seine Habseligkeiten in einer Abstellkammer sortiert, spricht Bände über ihre Beziehung – während sie in einem funktionalen Van durch das Land reist und jeden Saisonjob annimmt, den sie kriegen kann. Ob am Sortierband eines Amazon-Fulfillment-Centers, beim Sammeln einer Rübenernte oder beim Reinigen der Toiletten in einem Wohnmobilpark.

Aber das ist das Geniale an Fern: Sie ist keineswegs ein Opfer der wirtschaftlichen Umstände, sie sucht und nimmt Arbeit, wo immer sie sie bekommen kann. Als sie in einem Sportgeschäft einem Teenager begegnet, dem sie einst Nachhilfe gab, lehnt sie das Angebot eines Daches über dem Kopf ab: „Ich bin nicht obdachlos, ich bin nur heimatlos. Das ist nicht dasselbe, oder? Machen dir keine Sorgen um mich.“

Ein Van fährt über eine Landstraße in den USA
NOMADLAND ©The Walt Disney Company All Rights Reserved

Verzicht auf Liebes Geplänkel bringt dem Film Pluspunkte

Nachdem ein Arbeitsvermittler ihr mitteilt, dass sie für keinen der angebotenen Jobs geeignet ist, schließt sich Fern einem der Seminarcamps des Wohnwagen-Gurus Bob Wells an (der, wie der Großteil der Darsteller, sich selbst spielt) und lernt die Grundlagen des Nomadentums: „getarntes Parken“, „wie man sich um seinen eigenen Scheiß kümmert“ und die Phrase „See you down the road“, eine weniger dauerhafte Art, sich zu verabschieden.

An diesem Punkt verwandelt sich Nomadland in ein Roadmovie, aber nicht eines, das von A nach B führt, sondern durch das Land schlendert. Zhao fängt sowohl die Freuden (die Kameradschaft unter den Fahrenden, die ständig wechselnden schönen Landschaften) als auch die Irritationen ( Misserfolge, eimerweise Scheiße) ein, während Fern kostbare Momente mit ihrer neuen Bekanntschaft, der freigeistigen Swankie, teilt, die sich selbst eindrucksvoll spielt.

Auf halbem Weg sieht es so aus, als würde Zhao der Konvention nachgeben. Bei einem Zwischenstopp trifft Fern den sanftmütigen Reisenden Dave und es scheint ein Flackern der Anziehung zwischen den beiden zu geben, wobei Zhao die beiden einzigen erkennbaren Gesichter in der Besetzung benutzt, um sie zusammenzubringen. Obwohl Fern sein Reise Equipment bestaunt, entwickelt sich die Beziehung, aber nicht so, wie man es erwarten würde.

Ein Leben in einem Van zwischen Romantik und Desillusionierung © The Walt Disney Company Germany
Ein Leben in einem Van zwischen Romantik und Desillusionierung © The Walt Disney Company Germany

Nomadland lebt und entfaltet sich vor allem durch zwei Frauen

Wie schon in ihren früheren Zusammenarbeiten finden Zhao und ihr Kameramann Joshua James Richards einen schönen Mittelweg zwischen Realismus eines Terrence Malick und einer eher hartgesottenen dokumentarischen Ehrlichkeit, die das Nichtstun poetisch, aber nie sentimental-kitschig macht und die Figuren eng mit ihrer Umgebung verbindet. Zhao nutzt auch den italienischen Klavier-Maestro Ludovico Einaudi, um Ferns innere Zustände auf zunehmend berührende Weise zu untermalen.



Aber Nomadland lebt und entfaltet sich vor allem durch zwei Frauen. Frances McDormand liefert die vielleicht beste Leistung ihres bisherigen Lebens ab, indem sie eine Frau spielt, die ihr Leben nach ihren eigenen Vorstellungen lebt und immer noch versucht zu entscheiden, was diese Vorstellungen sind. In Zhaos halb-improvisierter Welt ist sie so zurückhaltend wie nie zuvor, fügt sich ein und hebt Nicht-Profis hervor, während sie Fern eine majestätische Melancholie verleiht.

Sie wird von Zhao wunderbar geführt, die den ganzen Film mit einem Gefühl für die Außenseiterin durchtränkt. Sie ist eine Filmemacherin, die gleichzeitig akribisch und gefühlvoll ist-ohne Hektik, weniger eine Geschichten Erzählerin, mehr eine einfühlsame Sammlerin von flüchtigen Interaktionen und Momenten der Einsamkeit, die sich zu etwas zusammenfügen, das über die Summe seiner Teile hinausgeht.

"Schaut euch den Film auf der möglichst größten Leinwand an, die ihr finden könnt" - So ähnlich sagte es Frances MC Dormand bei der Oscar Verleihung und wir stimmen zu. © The Walt Disney Company Germany
„Schaut euch den Film auf der möglichst größten Leinwand an, die ihr finden könnt“ – So ähnlich sagte es Frances MC Dormand bei der Oscar Verleihung und wir stimmen zu. © The Walt Disney Company Germany

Fazit: Nomadland ist „Born in the USA“ in Filmformat. Eine wunderschön umgesetzte Geschichte darüber, was es bedeutet, in Amerika nicht zu Hause zu sein. Das Leben auf der Straße war noch nie so gefühlvoll eingefangen, politisch lebendig und zutiefst bewegend. Nicht jeder wird sich auf den langsamen, zirkulierenden, fast dokumentarischen Rhythmus von Nomadland einlassen, aber wenn man es zulässt, ist das Ergebnis, mit minimalen Abstrichen, außergewöhnlich.

Wertung: 9 / 10

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